Bis heute gibt es keine wissenschaftlichen Belege für die Existenz von Kryptopyrrolurie (KPU) beim Pferd. Viele Experten zweifeln sogar daran, dass es sich um eine echte Erkrankung handelt. Trotzdem wird KPU häufig mit hoch dosierten Mineralstoffen behandelt – doch ist das wirklich die richtige Methode?
Gerade die Fütterung spielt bei KPU eine zentrale Rolle. Doch statt die Ursachen zu bekämpfen, setzen viele Therapien nur auf eine symptomatische Ergänzung mit Zink & Co.. Lass uns gemeinsam auf die Fakten schauen: Wie beeinflusst die Darmgesundheit KPU – und warum könnte die falsche Fütterung das Problem sogar verschlimmern?
KPU beim Pferd – was steckt dahinter?
Die vermeintliche Entgiftungsstörung Kryptopyrrolurie (KPU) soll bei Pferden durch einen Urintest nachgewiesen werden, wenn dabei vermehrt bestimmte Stoffwechselabbauprodukte – sogenannte Pyrrole – ausgeschieden werden.
Diese Pyrrole, insbesondere Kryptopyrrol, sollen sich an essenzielle Nährstoffe wie Zink, Vitamin B6 und Vitamin B12 binden, wodurch diese verstärkt ausgeschieden werden. Die Folge: Ein angeblicher Mangel dieser Nährstoffe, der durch hoch dosierte Ergänzungen ausgeglichen werden soll.
Zusammenhang zwischen KPU, Dysbiose und Fütterung
Als Auslöser der KPU beim Pferd wird oft eine Dysbiose – also eine gestörte Darmflora – genannt. Angeblich kann die Leber dann nicht mehr effektiv entgiften, da ihr nicht genügend aktiviertes Vitamin B6 (Pyridoxal-5-Phosphat) zur Verfügung steht. Der Körper versucht dies auszugleichen, indem er Toxine an Spurenelemente wie Schwefel oder Zink bindet – was wiederum zu einem Mangel dieser wichtigen Nährstoffe führen soll.
Da Zink, Schwefel sowie die Vitamine B6 und B12 eine Rolle in der Entgiftung (Biotransformation) spielen, soll deren Verlust zu einer verminderten Fähigkeit führen, Giftstoffe unschädlich zu machen.
Vage Symptome und fragwürdige Diagnosen
Die beschriebenen Symptome der KPU sind äußerst unspezifisch: Von Sehnenproblemen über Zahnerkrankungen bis hin zu EMS (Equines Metabolisches Syndrom) und COPD (Chronisch Obstruktive Bronchitis) – fast jede Zivilisationserkrankung soll mit KPU und einer gestörten Entgiftung in Verbindung stehen.

KPU beim Pferd: Fehlende wissenschaftliche Grundlagen
Bis heute gibt es keine einzige wissenschaftliche Studie, die die Existenz von KPU beim Pferd bestätigt. Dennoch wird die Erkrankung oft diagnostiziert und mit hoch dosierten Mineralstoffen behandelt.
Was sagen Experten zur KPU?
Sowohl Tierärzte als auch Humanmediziner haben sich mit der Theorie der KPU auseinandergesetzt – mit eindeutigen Ergebnissen:
Die Existenz von KPU als Krankheit wird infrage gestellt.
Es ist unklar, ob Kryptopyrrole überhaupt in relevanten Mengen im Urin nachweisbar sind.
Chemisch betrachtet handelt es sich dabei um Hämopyrrollaktam, nicht um reines Kryptopyrrol.
Kein wissenschaftlicher Zusammenhang zwischen Pyrrolen und Nährstoffmangel.
Selbst wenn Pyrrole im Urin nachweisbar wären, sind die Mengen zu gering, um einen Mineralstoff- oder Vitaminmangel zu verursachen.
Zudem kann Hämopyrrollaktam Zink oder Vitamin B6 chemisch gar nicht binden.
Die wissenschaftlichen Quellen zu diesen Aussagen findest ganz du unten im Beitrag.
Dysbiose als echter Risikofaktor für Pferde
Unabhängig davon, ob KPU existiert oder nicht, gibt es einen Punkt, in dem sich alle einig sind:👉 Das Darmmikrobiom spielt eine essenzielle Rolle für die Gesundheit von Pferden.
Viele moderne Zivilisationserkrankungen hängen mit einer Dysbiose zusammen – einer Verschiebung oder Verarmung der Darmflora. Immer mehr Pferde leiden unter einem unausgeglichenen Mikrobiom, das langfristig ihre Gesundheit beeinträchtigt.
Warum die klassische Behandlung von KPU beim Pferd problematisch ist
Wird anhand eines fragwürdigen Urintests die Diagnose KPU gestellt, liegt der Fokus der Therapie meist auf dem vermeintlichen Verlust essenzieller Mineralstoffe und Vitamine. Um diesen auszugleichen, erhalten Pferde oft hoch dosierte synthetische Supplemente – insbesondere Zink, Schwefel, Vitamin B6 und Vitamin B12.
Diese Ergänzungen werden häufig zusätzlich zum Mineralfutter verabreicht und oft weit über die empfohlene Tagesmenge hinaus dosiert.
Die Begründung: Der hohe Verlust dieser Stoffe könne anders nicht ausgeglichen werden. Passend dazu gibt es eine Vielzahl überteuerter Futtermittel, die speziell für KPU-Pferde vermarktet werden.
Die Rolle der B-Vitamine in der KPU-Therapie
Obwohl die zusätzliche Fütterung von B-Vitaminen nicht das größte Problem darstellt, gibt es drei wichtige Aspekte, die oft übersehen werden:
🦠Das Darmmikrobiom produziert selbst B-Vitamine:
Ein gesundes Pferd stellt nicht nur Vitamin B6 und B12 selbst her, sondern auch B1, B2, B3, B7, B9 und Vitamin K. Viele dieser Vitamine sind an der Entgiftung beteiligt – werden jedoch bei der klassischen KPU-Therapie ignoriert.
⚖️ Der Mythos um aktiviertes Vitamin B6 (P5P, Pyridoxal-5-Phosphat):
Ob Pyridoxal oder P5P – für die Aufnahme im Darm muss aktiviertes Vitamin B6 erst wieder in seine ursprüngliche Form zurückgewandelt werden. Das bedeutet, dass überteuertes P5P keinen Vorteil gegenüber normalen B6-Präparaten bietet.
⚠️ Zu viel ist nicht immer besser:
Eine übermäßige Supplementierung kann schädlich sein:
Vitamin B6 und B12 stehen bei übermäßiger Aufnahme mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung.
Vitamin B9 (Folsäure) kann in hohen Dosen die Insulinsensitivität verschlechtern und mit Insulinresistenz in Zusammenhang stehen.
Warum eine hohe Zink-Supplementierung problematisch ist
Besonders kritisch ist die gängige Praxis, Zink in hohen Dosen zu verabreichen.
Zink wirkt antimikrobiell – auch im Darm
Zink wird nicht nur in Zinksalben wegen seiner keimhemmenden Wirkung genutzt – es entfaltet diese auch im Darm. Die Folge: Es übt einen Selektionsdruck auf das Mikrobiom aus und verändert die bakterielle Zusammensetzung.
Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen Zink und Dysbiose:
Eine Studie aus 2022 untersuchte den Einfluss einer steigenden Zinkzufuhr auf das Darmmikrobiom von Pferden – mit alarmierenden Ergebnissen:
Artenverlust: Je höher die Zinkkonzentration, desto geringer die bakterielle Vielfalt.
Weniger Butyrat: Zink reduzierte die Butyratproduktion, die essenziell für die Darmgesundheit ist. Ein Butyratmangel steht in Verbindung mit:
Entzündlichen Darmerkrankungen
Allergien
Insulinresistenz
Weitere Zivilisationserkrankungen
⚠️ Paradox: Zink zur Behandlung einer Dysbiose?
Diese Erkenntnisse zeigen, dass eine hohe Zinkgabe Dysbiosen auslösen oder verstärken kann. Das ist besonders widersprüchlich, da KPU angeblich durch eine Dysbiose verursacht wird – und dann mit einem Stoff behandelt wird, der genau diese verstärken kann.
Was hilft wirklich bei Dysbiosen?
Unabhängig davon, ob die Erkrankung KPU existiert oder nicht:
👉 Dysbiosen sollten an ihrer Ursache behandelt werden – nicht durch das bloße Ausgleichen vermeintlicher Mineralstoff- und Vitaminmängel, deren Existenz oft nicht einmal gesichert ist.
📌 Forschung und Praxis zeigen eindeutig: Viele Pferde reagieren sensibel auf eine Überdosierung von Mineralstoffen, insbesondere auf das beliebte Zink. Eine minimalistische, möglichst natürliche Fütterung ist daher essenziell für eine mikrobiomfreundliche Ernährung – denn nur so kann sich eine vielfältige Darmflora überhaupt erst stabilisieren.
📢 Nachhaltige Darmgesundheit braucht keine Kuren!
Anstatt den Darm mit Probiotika, Präbiotika oder Darmsanierungen kurzfristig zu manipulieren, ist es entscheidend, das Pferd langfristig wieder an eine natürliche Vielfalt an Mikroorganismen und Pflanzen heranzuführen.
Wenn Du genauer nachlesen möchtest, warum so viele Pferde heutzutage unter Dysbiosen leiden und warum die klassischen Ansätze selten erfolgreich sind, schau einmal in diesem Artikel vorbei:
Die Wiederherstellung der natürlichen Artenvielfalt und die Therapie von Dysbiosen sind die Basis meines Online-Kurses „Mikrobiomfreundliche Pferdeernährung“.
Hier tauchst Du in die faszinierende Welt des Pferdedarmmikrobioms ein und lernst, wie Dysbiosen mit Zivilisationserkrankungen wie Insulinresistenz, Allergien, Muskelerkrankungen oder Entgiftungsstörungen verknüpft sind.
Der Kurs vermittelt Dir ganz praxisnah, wie Du diese Erkrankungen an ihrem Ursprung behandelst und Deinem Pferd mit Hilfe der Natur dauerhaft zu einem gesunden Darmmikrobiom verhelfen kannst. Die Kursinhalte basieren auf aktueller wissenschaftlicher Forschung und behandeln das Thema Pferdedarmmikrobiom fernab von veralteten und nicht erwiesenen Praktiken und Theorien wie Darmsanierungen, KPU oder probiotischen Futtermitteln.
Quellen
Möchtest du dir selbst ein Bild von den wissenschaftlichen Grundlagen machen, auf die ich mich beziehe?
Die einzige wissenschaftliche Veröffentlichung zur KPU beim Pferd (keine Untersuchung), die ich finden konnte:
K. Roscher and I. Vervuert, “Mythos Kryptopyrrolurie aus Sicht der Diagnostik und Fütterung,” Leipziger Tierärztekongress, vol. LBH: 8, no. Tagungsband 2, pp. 11–121, 2016.
Betrachtung der KPU beim Menschen:
J. Kinkeldei, “Kryptopyrrole: A forgotten but important diagnostic parameter?,” 2010.
Veröffentlichungen und Untersuchungen zum Thema B-Vitamine und Zink bei Pferden:
Opinion on Pyridoxal 5’-phosphate as a source for vitamin B6 added for nutritional purposes in food supplements - Scientific Panel on Food Additives, Flavourings,
Processing Aids and Materials in Contact with Food,” EFSA J., vol. 6, no. 7, Jul. 2008.
N. Paßlack, S. van Bömmel-Wegmann, W. Vahjen, and J. Zentek, “Impact of Dietary Zinc Chloride Hydroxide and Zinc Methionine on the Faecal Microbiota of Healthy Adult Horses and Ponies,” J. Equine Vet. Sci., vol. 110, p. 103804, Mar. 2022.
Über mich:

Ich bin Michelle und lebe mit meinen beiden Pferden Fjörnir und Vindur in der schönen Bielefelder Senne und habe das Glück mit Equiflora meine beiden großen Leidenschaften Pferde und die (Mikro)biologie verbinden zu können. Ich bin mit Pferden aufgewachsen und beschäftige mich als Biotechnologin und Molekularbiologin seit über sieben Jahren als Wissenschaftlerin in der industriellen Forschung mit dem Mikrobiom von Tieren und Menschen. Meine Begeisterung für Pferde und Mikroorganismen hat mich zur Pferdeernährung geführt.
Mein Online-Kurs "Mikrobiomfreundliche Pferdeernährung" konzentriert sich auf die die Wiederherstellung der natürlichen Artenvielfalt im Pferdedarm und die Therapie von Dysbiosen im Kontext von Zivilisationserkrankungen.
Mit meiner Firma Natural Equibalance entwickele ich meine eigenen mikrobiomfreundlichen Futtermittel.
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